Die Insolvenz kann der Anfang von etwas Neuem sein

Inter­view mit RA Olaf Schu­bert und Dr. Chris­tian Matie­bel zur Situa­tion der Hotel­bran­che wäh­rend der Corona-Krise, ver­öf­fent­licht in der Fach­zeit­schrift COST & LOGIS, Aus­gabe 01/2021.

Die Situa­tion in der Corona-Krise ist für zahl­rei­che Betriebe der Bran­che bedroh­lich. Steht die Hotel­le­rie vor einer Insol­venz­welle? Und wie lässt sich mit einer Zah­lungs­un­fä­hig­keit umge­hen? Clau­dia Sun­derkamp und Phil­ipp Lin­der, geschäfts­füh­rende Gesell­schaf­ter der Hotour Hotel Con­sul­ting, haben sich dazu mit Olaf Schu­bert und Dr. Chris­tian Matie­bel, Juris­ten und Exper­ten rund um das Thema Insol­ven­zen, ausgetauscht. 

Clau­dia Sun­derkamp: Seit dem ers­ten Lock­down im ver­gan­ge­nen Früh­jahr wird auch in der Hotel­le­rie eine mas­sive Insol­venz­welle erwar­tet, die bis­lang glück­li­cher­weise noch aus­ge­blie­ben ist. Auch die Novem­ber- und Dezem­ber­hilfe geben vie­len Betrie­ben Hoff­nung. Den­noch: Besteht die Gefahr, dass die Bran­che lang­sam ausblutet?

Olaf Schu­bert: Der zweite harte Lock­down hat die Hotel­bran­che mit vol­ler Wucht getrof­fen. Hotel­be­trei­ber konn­ten Pacht­stun­dun­gen, Mora­to­rien und Kre­dite in Anspruch neh­men und haben dadurch zumin­dest vor­über­ge­hend den Zustand der dro­hen­den Zah­lungs­un­fä­hig­keit ein­ge­fro­ren. Aber die auf­ge­bau­ten Ver­bind­lich­kei­ten wer­den erheb­lich belas­ten. Das Dilemma: In der Krise konn­ten ver­ein­facht und ohne ent­spre­chende wert­hal­tige Sicher­hei­ten Kre­dite auf­ge­nom­men wer­den, die bilan­zi­ell als nicht durch Eigen­ka­pi­tal gedeckte Fehl­be­träge aus­zu­wei­sen sind und somit zur Über­schul­dung führen.

Ohne eine posi­tive Fort­füh­rungs­pro­gnose – nach­ge­wie­sen gemäß der Vor­ga­ben des IDW S11 – besteht die Pflicht zur Stel­lung eines Insol­venz­an­trags. Inwie­weit sich die Bran­che erho­len kann, hängt von der jewei­li­gen posi­ti­ven Fort­füh­rungs­pro­gnose in einem sich kon­junk­tu­rell auf­hel­len­den Umfeld ab. Zu beden­ken ist, dass die auf­ge­bau­ten Ver­bind­lich­kei­ten auch wie­der abbe­zahlt wer­den müssen.

Clau­dia Sun­derkamp: Nach unse­ren Beob­ach­tun­gen haben inha­ber­ge­führte Pri­vat­ho­tels dank Über­brü­ckungs­hil­fen mit­un­ter bes­sere Chan­cen die Krise zu über­ste­hen. Grö­ßere Hotel­ge­sell­schaf­ten hin­ge­gen sind über­wie­gend auf KfW-Dar­le­hen und das Ent­ge­gen­kom­men ihrer Ver­päch­ter ange­wie­sen. Wie neh­men Sie die Situa­tion als Insol­venz- und Sanie­rungs­exper­ten wahr?

Chris­tian Matie­bel: In der Corona-Krise sind viele Hotels auf schnelle wirt­schaft­li­che Hilfe ange­wie­sen. Mit der jüngst beschlos­se­nen Über­brü­ckungs­hilfe III sollte allen Unter­neh­men der Zugang zu kurz­fris­ti­gen Hilfs­maß­nah­men offen­ste­hen. Kleinst­be­triebe soll­ten dar­über hin­aus KfW-Schnell­kre­dite ohne Kre­dit­ri­siko-Prü­fung erhal­ten. Die büro­kra­ti­schen Hür­den sind frei­lich oft höher als der Berech­ti­gungs­nach­weis. Die Gewäh­rung von Kre­dit­ver­ga­ben stockt zunehmend.

Ver­päch­ter for­dern die Betriebs­pflicht ein, geän­derte Force-Majeure-Klau­seln (Anmer­kung der Redak­tion: Force Majeure steht für Höhere Gewalt) nach dem har­ten Lock­down im Früh­jahr tun ihr Übri­ges. Nicht gezahlte Pach­ten füh­ren ledig­lich dazu, dass eine Kün­di­gung befris­tet aus­ge­schlos­sen ist. Die Pacht­zah­lungs­ver­pflich­tung besteht aber wei­ter. Real betrach­tet haben Stun­dun­gen eine nega­tive Nach­wir­kung. Unter dem zusätz­li­chen Druck von Rück­zah­lungs­ver­pflich­tun­gen aus KfW-Dar­le­hen spü­ren Betrei­ber, dass sie den Gläu­bi­ger­for­de­run­gen nicht nach­kom­men können.

Clau­dia Sun­derkamp: Sind Hote­liers, denen ihre Hotelim­mo­bi­lie gehört, gegen­über den­je­ni­gen, die die Immo­bi­lie nur gepach­tet haben, mög­li­cher­weise im Vor­teil? De facto müss­ten viele Hotel­päch­ter zah­lungs­un­fä­hig sein, wenn bis Ende 2020 keine Stun­dungs­ver­ein­ba­rung geschlos­sen wurde. Ist das korrekt?

Olaf Schu­bert: Tat­säch­lich füh­ren nicht mit schrift­li­cher Ver­ein­ba­rung gestun­dete Pacht­rück­stände zur Zah­lungs­un­fä­hig­keit, sofern die­sen und allen wei­te­ren fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten nicht mehr als 90 Pro­zent sofort ver­füg­bare Liqui­di­tät, also Bank­gut­ha­ben oder freie Kre­dit­li­nien, gegen­über­ste­hen. Dies ist im Lichte der seit dem 01.10.2020 wie­der ein­ge­tre­te­nen Insol­venz­an­trags­pflicht zu betrach­ten. Nur Unter­neh­men, die bis Dezem­ber einen Antrag auf staat­li­che Corona-Hilfe gestellt haben, haben vor­erst einen Auf­schub bis zum 31.01.2021. Die zu bewil­li­gen­den Hilfs­leis­tun­gen müs­sen dann jedoch alle fäl­li­gen Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen abdecken.

Wir gehen von vie­len bereits ver­wirk­lich­ten Insol­venz­ver­schlep­pun­gen aus. Nicht gestun­dete Mie­ten und Pach­ten füh­ren zu einem Anstei­gen von fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten. Ein­fa­che Raten­zah­lungs­ver­ein­ba­run­gen sind keine Stun­dung, die Pach­ten blei­ben fäl­lig. Hote­liers mit unbe­las­te­tem Immo­bi­li­en­ei­gen­tum müs­sen zumin­dest keine Pacht­kos­ten generieren.

Phil­ipp Lin­der: Der Insol­venz haf­tet der Geruch von Pleite infolge von Unfä­hig­keit an. Das ist ange­sichts die­ses exo­ge­nen Schocks, für den nie­mand etwas kann, anders. Gleich­wohl zögern viele Unter­neh­men, die­sen Weg zu gehen. Wel­che Vor­teile kann eine Insol­venz für einen Unter­neh­mer haben?

Chris­tian Matie­bel: Der Insol­venz haf­tet nicht mehr das Stigma des geschei­ter­ten Unter­neh­mers an. Durch die Corona-Pan­de­mie ist diese Sicht­weise bestärkt wor­den. Das Insol­venz­ver­fah­ren stellt frag­los Ein­schnitte in jeder Hin­sicht dar. Wer­den diese jedoch auf­ein­an­der abge­stimmt vor­ge­nom­men, erhält der Hote­lier rea­lis­ti­sche Chan­cen, sich finanz- und leis­tungs­wirt­schaft­lich neu auf­zu­stel­len. Insol­venz­geld, weit­rei­chende Son­der­kün­di­gungs­rechte und der Schul­den­schnitt tra­gen zur Erhal­tung des Unter­neh­mens bei. Eine struk­tu­rierte Insol­venz kann schon nach weni­gen Mona­ten been­det sein.

Phil­ipp Lin­der: Wann muss ein Hote­lier begin­nen, sich auf eine Insol­venz vor­zu­be­rei­ten und was kann er kon­kret tun, um das Ver­fah­ren in sei­nem Inter­esse gestal­ten zu können?

Olaf Schu­bert: Geschäfts­füh­rer und Vor­stände sehen sich in zuneh­men­dem Maße einem erhöh­ten Haf­tungs­po­ten­zial aus­ge­setzt. Zum drin­gend erfor­der­li­chen Risi­ko­ma­nage­ment gehört beson­ders die täg­li­che Kon­trolle des Liqui­di­täts­sta­tus, also die Frage, ob noch alle fäl­li­gen Ver­bind­lich­kei­ten bedient wer­den kön­nen oder eine Liqui­di­täts­lü­cke besteht.

Bereits bei sich in naher Zukunft abzeich­nen­der Zah­lungs­un­fä­hig­keit, der dro­hen­den Zah­lungs­un­fä­hig­keit, sollte ein in Insol­venz- und Sanie­rungs­fra­gen erfah­re­ner juris­tisch und betriebs­wirt­schaft­li­cher Bei­stand ein­ge­holt wer­den. Je frü­her sich ein Unter­neh­men mit der Kri­sen­si­tua­tion aus­ein­an­der­setzt, desto bes­ser sind die Chan­cen auf eine erfolg­rei­che Restrukturierung.

Phil­ipp Lin­der: Der so genannte „prä­ven­tive Restruk­tu­rie­rungs­rah­men“ ist beschlos­sen. Hier­mit will der Gesetz­ge­ber für Unter­neh­men, die noch zah­lungs­fä­hig sind, ein Sanie­rungs­ver­fah­ren außer­halb der Insol­venz ermög­li­chen. Für wen eig­net sich die­ses Ver­fah­ren, wer sollte bes­ser die Fin­ger davon las­sen und warum?

Chris­tian Matie­bel: Die Debatte um das Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren zu einer Sanie­rung von Unter­neh­men ohne Insol­venz­ver­fah­ren war bis zuletzt voll im Gange. Das Gesetz über den Sta­bi­li­sie­rungs- und Restruk­tu­rie­rungs­rah­men (Sta­RUG) ist zum 01.01.2021 in Kraft getre­ten. Das Ver­fah­ren ermög­licht einen Schul­den­schnitt. Das ist für alle Unter­neh­mer von Bedeu­tung, die sich durch zusätz­li­che Dar­le­hens­auf­nah­men in der Corona-Zeit ver­schul­det haben und bei denen keine Aus­sicht besteht, noch nicht fäl­lige Kre­dite in der Zukunft zurück­zah­len zu kön­nen. Es darf weder Zah­lungs­un­fä­hig­keit noch Über­schul­dung vor­lie­gen. Unter Zuhil­fe­nahme des Gerichts kann ein Restruk­tu­rie­rungs­plan vor­ge­legt wer­den, der regelt, auf wel­chen Teil ihrer For­de­run­gen Gläu­bi­ger ver­zich­ten. Wahl­weise kön­nen nur bestimmte Gläu­bi­ger ein­be­zo­gen wer­den. Mit einer Drei­vier­tel­mehr­heit an Zustim­mun­gen soll erreicht wer­den, die Ent­schul­dung nicht zu blo­ckie­ren. Für Unter­neh­men, die aktu­ell über aus­rei­chend Liqui­di­tät ver­fü­gen, passt die­ser Restrukturierungsrahmen.

Fehlt es daran, bie­tet die alter­na­tive Insol­venz in Eigen­ver­wal­tung weit­rei­chende liqui­di­täts­ge­ne­rie­rende Maß­nah­men. Sie ermög­licht beson­ders grö­ße­ren Hotel­ge­sell­schaf­ten zusätz­li­che Per­spek­ti­ven, denn damit kann in ver­trag­li­che Rechte ein­ge­grif­fen wer­den, das heißt ein­zelne Pacht­ver­träge und Dau­er­schuld­ver­hält­nisse aus dem Ver­bund her­aus­ge­nom­men wer­den, ohne die Gesell­schafts­struk­tur zu beein­träch­ti­gen. Erfolgs­ent­schei­dend für beide Sanie­rungs­wege ist eine durch erfah­rene, spe­zia­li­sierte Bera­ter beglei­tete Vor­be­rei­tung. Wir haben für Betrof­fene vor dem Hin­ter­grund abseh­ba­rer sai­so­na­ler Ent­wick­lun­gen und des pro­gnos­ti­zier­ten Impf­ge­sche­hens Sanie­rungs­mo­delle entwickelt.

Clau­dia Sun­derkamp und Phil­ipp Linder,

geschäfts­füh­rende Gesell­schaf­ter der HOTOUR Hotel Con­sul­ting GmbH, haben 2020 mehr als 50 Restruk­tu­rie­rungs-Man­date über­nom­men, bei denen es schwer­punkt­mä­ßig darum ging, wirt­schaft­lich trag­fä­hige Lösun­gen im Ver­hält­nis zwi­schen Ver­päch­tern und Päch­tern zu erarbeiten.

RA Olaf Schubert

ist Rechts­an­walt, Wirt­schafts­me­dia­tor, zer­ti­fi­zier­ter ESUG-Bera­ter und Restruk­tu­rie­rungs­be­ra­ter. Mit sei­nem Wis­sen unter­stützt er Unter­neh­men aus ver­schie­de­nen Bran­chen. Er ist aus­ge­wie­se­ner Experte für die Ent­schul­dung in Schutz­schirm­ver­fah­ren und die Insol­venz in Eigenverwaltung.

Dr. Chris­tian Matiebel

ist diplo­mier­ter Wirt­schafts­ju­rist. Er ver­fügt über rund 23 Jahre Erfah­rung in Restruk­tu­rie­run­gen und Insol­ven­zen. Als Bera­ter und CRO beglei­tet er vor­wie­gend mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men. Zu sei­nem Spe­zi­al­ge­biet gehö­ren Sanie­rungs­pläne, die regel­mä­ßig auf den Unter­neh­mens­er­halt setzen.

Cost & Logis

Die Zeit­schrift Cost & Logis ist die leis­tungs­starke Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Platt­form für Pro­fis aus der Hotellerie.


Zum voll­stän­di­gen Inter­view als PDF.