Der zweite Teil der Chronologie beschäftigt sich mit dem Fortgang des Insolvenzverfahrens, der Milliarden-Klage gegen Etihad und den Folgen für die Beteiligten. Hier finden Sie den ersten Teil der Air Berlin Chronik.
2018
8. Januar – Niki-Insolvenz wird nach Österreich verlegt
Das Fluggastrechteportal Fairplay hatte gegen das Insolvenzverfahren von Niki in Deutschland geklagt, da es die Zuständigkeit hierfür in Österreich sieht.
Nach Verhandlungen vor dem Amtsgericht Charlottenburg und dem Landesgericht Berlin wird das Insolvenzverfahren an das Insolvenzgericht Korneuburg in Österreich abgegeben. Für das Hauptinsolvenzverfahren über Niki wird die Rechtsanwältin Ulla Reisch zur Masseverwalterin bestellt. Flöther kritisiert das Verlegen des Hauptinsolvenzverfahrens nach Österreich als Verstoß gegen europäisches Recht.
Große Teile des Geschäftsbetriebs von Niki sollen an die Luftfahrt Gruppe IAG International Airlines Group, den drittgrößten europäischen Luftverkehrskonzern nach Lufthansa und Ryanair, gehen. Diese bietet 20 Millionen Euro für Niki-Werte und 16,5 Millionen an Liquidität in der Fluggesellschaft. Lufthansa wollte 180 Millionen investieren, um Niki im laufenden Geschäftsbetrieb zu halten.
Bis zum 19 Januar sollen die Gebote abgegeben werden. Die IAG will erneut bieten, ebenso wie Ryanair, Niki Lauda und Condor.
17. Januar 2018 – sanfte Landung für HR-Chefin
Die bis dato bei Air Berlin angestellte Personalchefin Martina Niemann tritt ab dem 1. Februar ihre neue Stelle als „Head of HR-Management“ bei Lufthansa an. Kritik kommt von Seiten ehemaliger Air-Berlin-Mitarbeiter und Gewerkschaftsvertreter. Tenor: Viele ehemalige Air-Berlin-Mitarbeiter stehen noch immer vor einer ungewissen beruflichen Zukunft, während Fälle wie der von Frau Niemann und Herrn Winkelmann bekannt werden.
23. Januar – Lauda erhält den Zuschlag
Die Entscheidung bei Niki wird einen Tag nach Tagung des Gläubigerausschusses bekannt gegeben: Niki Lauda und seine Fluggesellschaft Laudamotion und Condor (Thomas Cook) erhalten den Zuschlag.
24. Januar 2018 – FDP fordert Untersuchungsausschuss
Die FDP bekräftigt ihre Intention, einen Untersuchungsausschuss einzuleiten, um die Rolle von Wirtschaftsministerin Zypries und Verkehrsminister Schmidt untersuchen.
FDP-Vize Kubicki: “Warum muss der Steuerzahler mit der Hälfte des Kredits dazu beitragen, dass Lufthansa Konkurrenten los wird? Ein Staatskredit ist akzeptabel, Merkel hat ihre Zusage aber nicht eingehalten, dass der Steuerzahler nicht haftet.“
25. Januar 2018 – Streit auf der Gläubigerversammlung
Es kommt zum Streit bei der Air Berlin Gläubigerversammlung, da der Anwalt Lothar Müller-Güldemeister einen Sitz im Gläubigerausschuss erlangen möchte. Der 71-jährige Rechtsanwalt wollte sich einen durch den Rücktritt eines Aufsichtsratsmitglieds freiwerden Platz mit dem Ziel sichern, die Rechte der Flugreisenden zu vertreten. Der Insolvenzverwalter muss bei wichtigen Entscheidungen die Zustimmung des Gläubigerausschusses einholen.
Müller-Güldemeister: „Das Gesetz sieht vor, dass auch die Kleingläubiger im Gläubigerausschuss vertreten sein sollen. Da ich 400 geschädigte Fluggäste mit Forderungen zwischen 100 und 8000 Euro vertrete, beantragte ich, in den Gläubigerausschuss gewählt zu werden.“
Weil sich die Höhe der Stimmenzahl in der Gläubigerversammlung nach der Höhe der Verbindlichkeiten richtet, halten Commerzbank, Eurowings, Leasing-Gesellschaften und Bundesagentur für Arbeit als größte Gläubiger 99% der Stimmen und verhindern somit die Wahl Müller-Güldemeisters. Die mehr als eine Million Kleingläubiger werden damit im Gläubigerausschuss nicht vertreten sein.

Die ungesicherten Gläubiger haben vermutlich nicht viel zu erwarten, so Insolvenzverwalter Flöther und müssen sich in viel Geduld üben: „Das kann bei einer Insolvenz dieser Größenordnung bis zu zehn Jahre dauern“.
24. Januar 2018 – Ansprüche gegen Etihad?
Flöther prüft Anprüche gegen den Großaktionär Etihad. Es geht hierbei um ein Finanzversprechen von Etihad von April 2017. Das Unternehmen aus Abu Dhabi hatte Air Berlin zu der Zeit schriftlich versichert, bis Ende 2018 sicherzustellen, dass die deutsche Airline ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann. Im August 2017 widerrif Etihad die Zusage und besiegelte die Insolvenz von Air Berlin. Im Erfolgsfall könnte die Klage laut Bild am Sonntag bis zu 800 Millionen Euro einbringen.
17. Februar 2018 – Liegt Insolvenzverschleppung vor?
Nach einem Bericht der „BILD“ hat Insolvenzverwalter Flöther das global agierenden Wirtschaftsprüfungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) damit beauftragt, das gesamte Insolvenzverfahren nach Anhaltspunkten für eine Insolvenzverschleppung zu durchleuchten. Auch in einem Bericht des Insolvenzverwalters werden sind mögliche Haftungsansprüche gegen Geschäftführer der Air Berlin Gesellschaften explizit erwähnt.
14. März 2018 – Berlin verliert Langstreckenverbindungen
Im November 2017 ließ Lufthansa-Vorstand Harry Hohmeister stolz verlauten, dass man die Strecke Berlin – New York von Air Berlin übernehme. Man wolle aus der Situation etwas Positives machen – „soweit wir können und dürfen.“
Fünfmal pro Woche hob die Lufthansa von nun an in Richtung Big Apple ab. Ende Dezember ließ die Tochter Eurowings verlauten, dass sich an den Plänen, die Strecke dauerhaft im Sommerflugplan 2018 einzugliedern, nichts geändert habe. Nun, im März 2018, sind auch diese Pläne Geschichte. Ein ungünstiger Slot am New Yorker Kennedy-Flughafen in Verbindung mit „ungenügender Wirtschaftlichkeit“ lässt die einzige Direktverbindung Berlin – New York nach Aussage der Eurowings verschwinden.
Direktverbindungen von Berlin nach Chicago, Los Angeles, Miami und San Francisco sowie zu Urlaubszielen in der Karibik gibt es seit dem Wegfall der Air-Berlin-Strecken von Berlin an keine mehr. Reisende sind hierbei gezwungen, Umsteigeverbindungen z.B. über Köln-Bonn oder München zu nehmen.
24. März 2018 – Kredit ohne Abwarten des Gutachtens bewilligt?
Laut einem Bericht des „Spiegels“ wurde der Kredit der Bundesregierung über 150 Millionen Euro im August 2017 bewilligt, bevor das Ergebnis des extra von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten von PricewaterhouseCoopers eintraf.
- 12. August – PwC wird erstmals informiert
- 15. August – Bundesregierung gibt Zusage für Kredit
- 17. August – Übermittlung der finalen gutachterlichen Vorlage zur Übernahme einer Bundesgarantie
Im Januar 2018 sollte die Kreditsumme aus Verkäufen von Air-Berlin-Unternehmensteilen wieder reingeholt werden. Zum aktuellen Zeitpunkt rechnet Insolvenzverwalter Flöther damit, nur noch die Hälfte des Betrags zurück zu erhalten. Warnungen über eventuelle Probleme bei der Rückzahlung gab es bereits frühzeitig. Die Air Berlin Anwälte schrieben im Zuge dessen im August letzten Jahren an die Bundesregierung, dass das Darlehen wahrscheinlich ungesichert gegeben werden muss. Aus dem Kanzleramt heißt es hierzu lediglich, dass „alle rechtlich möglichen und wirtschaftlich sinnvollen Sicherheiten vom Bund gefordert und letztlich auch bestellt“ worden sind.
4. April 2018 – Meilen weg, Geld weg?
Die Firma Topbonus Ltd. (zu 70% von Etihad gehalten, zu 30% von Air Berlin), über die mit dem Vielfliegerprogramm von Air Berlin Bonus-Meilen gesammelt werden konnten, meldete zehn Tage nach der Airline Insolvenz an.
Ein Grund hierfür war auch, dass zahlreiche Mitglieder innerhalb kürzester Zeit versucht hatten, ihre Meilen einzulösen. Anschließend wurde vollmundig verkündet, der Geschäftsbetrieb werde trotzdem fortgesetzt: Unter dem Namen Topbonus Loyalty konnten in den Monaten darauf neue Partner für das Programm gewonnen werden, gesammelte Meilen behielten ihre Gültigkeit.
Nun schauen Kunden von Air Berlin, die Teil des dieses Programmes waren und Meilen gesammelt haben, in die Röhre. Bestehende Meilen wurden gelöscht und werden Teil des am 1. April gestarteten Insolvenzverfahrens und somit Teil der Insolvenzmasse.
Insolvenzverwalter Christian Otto zeigte sich Anfang April noch optimistisch, dass ein neuer Investor das Programm wieder aufleben lassen wird. Der Deal galt als so gut wie besiegelt, ehe er sich aufgrund fehlender Zahlungsmöglichkeiten seitens des Investors zerschlug. Man habe den Geschäftsbetrieb einstellen müssen, um die Gläubiger zu schützen, da innerhalb der Frist nicht mehr damit zu rechnen war, dass die Zahlung noch getätigt werden kann, so Otto. Das bedeutet für die 20 verbleibenden Topbonus-Mitarbeiter: Kündigung. Und für die betroffenen Kunden höchstwahrscheinlich: Meilen weg und somit Geld weg. Die Chancen auf Entschädigung stehen minimal, die Ansprüche drohen in der massiven Insolvenzmasse zu verschwinden.
7. April 2018 – Erneuter Vorwurf der Insolvenzverschleppung
Anwalt Lothar Müller-Güldemeister wirft dem Luftfahrtbundesamt Beihilfe zur Insolvenzverschleppung von Air Berlin vor. Von „Verletzung der Aufsichtspflicht“ ist die Rede, da die Behörde mit seinen rund 1.000 Mitarbeitern als Kernaufgabe die „Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit deutscher Luftfahrtunternehmen“ hat. Somit hätte aufgrund der enormen Schuldenlast eine Betriebsgenehmigung niemals erteilt werden dürfen, außerdem seien noch zigtausende wertloser Tickets verkauft worden.“
23. Mai 2018 – Klage auf Betriebsübergang
Die Klagen gegen Air Berlin und Insolvenzverwalter Flöther nehmen deutlich zu. Einige Anwälte bringen ganze Autos beladen mit Aktenbergen zum Arbeitsgericht nach Berlin. Ehemalige Air-Berlin-Mitarbeiter argumentieren, dass ein Betriebsübergang auf einen neuen Inhaber (in dem Fall Lufthansa und Easyjet) vorliegt und somit die Arbeitsverhältnisse bestehen bleiben müssten. Der Betriebsübergang ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt, dennoch seien fast alle Piloten damit gescheitert, die Übernahme als solche einen Betriebsübergang anerkennen zu lassen.
27. Mai 2018 – Hoffnung auf Rückzahlungen?
Flugreisende, die ihr Ticket bei Air Berlin oder Niki vor dem 15. August 2017 gekauft haben, gehen wahrscheinlich leer aus: Sie können ihre Forderungen nur als Teil der Insolvenzmasse anmelden und auf eine geringe Quote hoffen. Niki flog noch ein halbes Jahr nach dem Ende der Muttergesellschaft weiter, eigens für Forderungen aus diesem Zeitraum wurde ein Treuhandkonto eingerichtet.
1. Juli 2018 – Schadenersatzklage gegen Etihad
Insolvenzverwalter Flöther ist darum bemüht, Finanzierer zu finden, die die Kosten für einen Prozess gegen Etihad stemmen können. Es wird mit Prozesskosten von 10 bis 30 Millionen Euro gerechnet. Ein Hedge-Fonds soll diese Kosten übernehmen, dafür werden 30% der erstrittenen Summe in Aussicht gestellt.
23. Juli 2018 – Ex-Air-Berlin-Mitarbeiter gut untergebracht?
Rund 85% der ehemaligen 8.000 Angestellten Air Berlins haben laut internen Firmenzahlen, über die die Bild berichtete, einen neuen Job gefunden. Die meisten sind bei Eurowings, Easyjet oder Ryanair untergekommen, welche ihr Streckennetz aufgrund der Insolvenz Air Berlins ausgebaut haben und somit mehr Personal benötigen.
Bereits letzten Herbst, wenige Monate nach der Insolvenz, ging das Management von Air Berlin von „guten Jobaussichten für 80% der Betroffenen“ aus.
Es lässt sich feststellen, dass diese Prognose deutschlandweit sogar als realistisch erachtet werden kann. Wirft man aber einen Blick auf die Arbeitsbedingungen, werden gravierende Unterschiede sichtbar: Piloten berichten von Gehaltseinbußen von 40% gegenüber ihrem vorherigen Arbeitgeber, erfahrene Flugkapitäne hätten aufgrund ihres hohen Dienstalters und der damit einhergehenden besseren Besoldung kaum Chancen auf Übernahme. Auch für Mitarbeiter in Elternzeit oder Teilzeit „sei kein Platz“, wie ein Pilot, der lieber anonym bleiben möchte, berichtet. Zeitaufwendige Schulungen und Probezeiten stellen ebenfalls eine psychische und monetäre Belastung für die Betroffenen da.
31. Juli 2018 – Winkelmann verzichtet auf Gehalt
Air-Berlin-Chef Winkelmann, der aufgrund einer Bankgarantie sein Gehalt von 4,5 Millionen Euro bis 2021 abgesichert hat, unterschreibt einen Aufhebungsvertrag und verzichtet auf einen nicht näher genannten Teil seines vertraglich gesicherten Salärs, wobei genaue Konditionen nicht öffentlich gemacht wurden. Es schwingt der Beigeschmack mit, dass dies aufgrund des öffentlichen Drucks geschah und sich Winkelmann so aus der Schusslinie bringen und im Hinblick auf seine weitere berufliche Zukunft neu aufstellen wollte. Die Causa Air Berlin war hierbei nicht nur für sein gesellschaftliches Ansehen hinderlicher Natur.
Als nicht hinderlich erwies sich diese Tatsache aber im Bezug auf Winkelmanns neue Stelle: zum 1. August 2018 tritt er seine Stelle als Beirats-Chef des mittelständischen Logistikunternehmens Zeitfracht Luftfahrt Holding aus Berlin ein. Zeitfracht übernahm nach der Insolvenz Air Berlins Teile des Unternehmens.
8. August 2018 – Wer kriegt was vom Kuchen?
Insolvenzverwalter Flöther bezieht in einem Interview Stellung und äußert sich zu verschiedenen Themen rund um die Insolvenz. Seine Worte zum Thema Neubeschäftigung der ehemaligen Air-Berlin-Mitarbeiter lassen aufhorchen.
Flöther: „Aber was wir hören aus dem Markt, was auch die Behörden zum Teil bestätigt haben, ist, dass nahezu alle gekündigten Arbeitnehmer wieder Beschäftigung gefunden haben.“
Da der Insolvenzverwalter die Hauptaufgabe hat, im Interesse der Gläubiger zu walten und die vorhandene Insolvenzmasse gleichmäßig auf sie verteilen soll, werden hier die Prioritäten deutlich gelegt: 99% der Verbindlichkeiten sind fällig bei Commerzbank, Eurowings, Leasing-Gesellschaften, Lieferanten, Dienstleistern und Vermietern und der Bundesagentur für Arbeit. Den Rechten der Flugreisenden und denen der ehemaligen Mitarbeitern kommt eine eher untergeordnete Rolle zu Gute. Im öffentlichen Diskurs hingegen wird meist davon ausgegangen, dass die größten Gläubiger Ticketkäufer sein.
Anfang des Jahres wurde von ungesicherten Gesamtforderungen in Höhe von 760 Millionen berichtet, die einem verwertbaren Vermögen von 88 Millionen gegenüber stehen. Auf die Kunden entfallen insgesamt lediglich 30 Millionen, auf die Mitarbeiter ca. 10 Millionen, von denen in beiden Fällen knapp die Hälfte als ungesichert gilt. Auch die übrigen 84 Millionen, welche noch anhängend dem 150 Millionen Euro Kredit der Bundesregierung sind, sind ungesichert. Durch den Verkauf von Unternehmensteilen (ohne Niki) wurden lediglich 67 Millionen in die Kasse gespült.
16. August 2018 – Kredit wirklich notwendig?
Kritiker äußern, dass die Vergabe des Kredits mehr ein politisches Manöver als eine „Rettungsaktion der gestrandeten Urlauber“ sei. Mit den noch vorhandenen Barmitteln von 80 Million Euro hätte Air Berlin die Passagiere größtenteils wieder nach Deutschland fliegen können. Dies soll in Kreisen der Bundesregierung aber als zu riskant im Bezug auf die anstehende Bundestagswahl bewertet worden sein, da nicht sicher davon auszugehen war, dass so alle geprellten Kunden pünktlich und frei von negativen Emotionen gegenüber Air Berlin und der Politik knapp einen Monat später an der Wahlurne stehen würden.
Flöther hierzu: „Millionen von Urlaubsreisenden überall auf der Welt wären gestrandet, fest gesessen. Man hätte die Mitarbeiter entlassen müssen, es wäre ein absolutes Chaos entstanden. Insofern hatte der Kredit die Fortführung des Unternehmens, das Weiterfliegen, ermöglicht. Das hat, glaube ich, allen Beteiligten, nicht zuletzt den Gläubigern und den Kunden, den Reisenden geholfen.“
30. Oktober 2018 – Wer ist Schuld?
Die Gründe dafür, dass Air Berlin letzten Endes in die Insolvenz gehen musste, hat viel mit Missmanagement und anderen internen Faktoren zu tun. Auch nach 10 Jahren in den roten Zahlen gelang es dem Management nicht, die Airline profitabel zu gestalten. Doch es gibt sicher auch externe Ereignisse und Gegebenheiten, die der roten Airline geschadet haben.
Eines davon ist die Verzögerung der Fertigstellung des BER, die nicht nur für die Fluggäste Berlin und Brandenburgs ein Hindernis da stellt. Ursprünglich im Juni 2012 sollte der Flughafen eröffnet werden. Air Berlin verkaufte bereits Tickets, hatte Slots bestellt und große Werbekampagnen zur Eröffnung des neuen Flugdrehkreuzes gefahren. Dass letztlich doch nicht eröffnet werden konnte, war finanziell gesehen ein Disaster.
So wurden die Pläne über den Haufen geworfen und Air Berlin war gezwungen, die Heimatbasis weiterhin in Tegel zu lassen. Insbesondere in den letzten Jahren ist die Auslastung von Tegel (TXL) stetig gestiegen und stellte Air Berlin vor immer größere Herausforderungen: Passagiere brauchen lange zum Umsteigen, der Weg von Terminal A zu Terminal C mit nochmaligen Security-Check bringt für die Flugreisenden meistens logistische Herausforderungen mit sich. Auch der Gepäcktransfer bereitete immer größere Probleme, überdurchschnittlich viele Koffer gingen verloren oder schafften es nicht in die Anschlussflugzeuge.
14. Dezember 2018 – Klage gegen Etihad eingereicht
Die Gläubiger, vertreten durch Insolvenzverwalter Flöther, haben Klage gegen Etihad beim Landgericht Berlin eingereicht. Die arabische Airline gab im April 2017 eine sogenannte Harte Patronatserklärung ab. Mit ihr versichert der Erklärende, der sogenannte Patron, die Kreditwürdigkeit seines Tochterunternehmens, dieses profitiert so durch eine gesteigerte Bonität. Die Erklärung wurde für 18 Monte ausgestellt. Als die nationale Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate diese nun knapp 5 Monate später zurück zog, musste Air Berlin Insolvenz anmelden.
Bei der Klage geht es um ein Volumen von 500 Millionen Euro, das Gericht hat den Streitwert auf 2 Mrd. Euro festgelegt. Die Abweichungen kommen daher zustande, da noch etliche Forderungen der Gläubiger nicht geprüft sind und dies wahrscheinlich auch noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Ursprünglich gab der Gläubigerausschuss schon im Frühjahr grünes Licht für die Klage, es wurde noch ein Prozessfinanzierer gesucht. Dieser wurde nun gefunden, eine Vergütung nach erfolgreichem Prozess von bis zu 30% des tatsächlich erzielten Ergebnisses ist vorgesehen. Bei Abweisung der Klage trägt der Finanzierer die gesamten Kosten des Verfahrens: die Gerichtskosten, die Kosten des gegnerischen Anwalts, die Kosten des eigenen Anwalts sowie sämtliche Zeugen- und Sachverständigenkosten.
Flöther bezeichnet die Ansprüche gegen Etihad in der Süddeutschen Zeitung als „potenziell wichtigste Vermögenswerte“ im Insolvenzverfahren. Ohne diese würden die meisten Gläubiger wohl leer ausgehen.
2019
23. Januar 2019 – Etihad will in London Verklagt werden
Etihad Airways wehrt sich dagegen, dass von Flöther angestrebte Verfahren in Berlin durchzuführen und möchte es lieber nach London verschieben. Die Zuständigkeit liege laut Etihad beim britischen High Court, da Air Berlin in London formell seinen Sitz hatte und dort den Haftungsausschluss beantragte.
Die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG, wie sie komplett hieß, war eine hundertprozentige Tochter der börsennotierten Air Berlin PLC (Public Limited Company), also einer Kapitalgesellschaft nach britischem Recht. Innerhalb der EU steht es Unternehmen frei, ihre Rechtsform zu wählen.
Die arabische Fluggesellschaft hat dennoch keine juristische Handhabe, um den Ort des Verfahrens zu beeinflussen und sieht sich einem Verfahren in Deutschland gegenüber.
Flöther in einer Pressemitteilung: „Etihad hat offensichtlich Angst, den Rechtsstreit vor deutschen Gerichten zu führen.“
15. Februar 2019 – Gäubigerforderungen übersteigen Milliardengrenze
Insolvenzverwalter Flöther nennt im Berliner Tagesspiegel neue Zahlen. Er geht davon aus, dass die Gesamtsumme der Forderungen die 1 Milliarde übersteigen wird. Insgesamt haben über 1,2 Millionen Gläubiger Ansprüche eingereicht.
Er stellt in Aussicht, den Massekredit der Bundesregierung vollständig zurückzuzahlen – allerdings ohne Zinsen.
8. März 2019 – Gerechtfertigte Vergütung für Sachwalter Flöther?
Eine Welle der Empörung bricht los, als das Amtsgericht Charlottenburg am 27. Februar bekannt gibt, dem Antrag von Air-Berlin-Sachwalter Lucas Flöther vom 21. Januar 2019 zu folgen: Die Kanzlei Flöther & Wissing erhält für den 5‑monatigen Zeitraum der Arbeit zwischen Einreichung des Insolvenzantrages am 15. August 2017 bis Mitte Januar 2018 eine Vergütung von 22 Million Euro. Diese Summe wird noch einmal deutlich steigen, da Flöther nicht mehr als Sachwalter mit reduzierten Vergütungsansprüchen auftritt, sondern als Insolvenzverwalter. Bis zum Jahr 2028 ist eine geplante Vergütung für die Kanzlei von knapp 48 Million Euro eingeplant.
Kritik von verschiedenen Seiten lässt nicht lange auf sich warten.
Jörg Cezanne, Verkehrspolitiker der Linken im Bundestag: „Da etliche Flugreisende im Insolvenzverfahren leer ausgehen werden, ist diese Summe niemandem zu vermitteln.“
Die Vergütung von Herrn Flöther liegt aufgrund der Komplexität des Verfahrens bei 105% über dem Regelsatz. Sie hätte, bei Antragsstellung durch Flöther und seine Kanzlei, bis auf 175% wachsen können.
Rechtsanwalt Lothar Müller-Güldemeister : „In diesem Fall sind die gigantischen Aufschläge aber so grotesk hoch und skandalös, dass es nicht so einfach hätte genehmigt werden dürfen.“
Inzwischen haben Gläubiger Beschwerde gegen die Höhe des Honorars eingereicht.
Ausgang für die Beteiligten
Das Drama um Air Berlin scheint kein Ende zu nehmen und ist auch knapp zwei Jahre nach der Insolvenz ein präsentes Thema. Wie steht es nun um die Protagonisten, welche direkt oder indirekt an der Insolvenz beteiligt oder sogar involviert waren und was machen diese heute?
Joachim Hunold
Im Jahr 1991 gründete der heute 69-jährige Unternehmer Joachim Hunold die Air Berlin GmbH & Co. Luftverkehrs-KG, die aus der amerikanischen Air Berlin Inc. hervorgeht.
Von 2006 an bekleidete er dort die Rolle des CEO, ehe er sich 2011 aufgrund „schlechter Geschäftszahlen“ dem Druck der Aktionäre beugt, aus dem Unternehmen zurückzieht und seinen Posten an den ehemaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn übergibt. Er soll eine Abfindung in Millionenhöhe erhalten haben. Bis zur Insolvenz Air Berlins saß er weiterhin im Verwaltungsrat des Unternehmens und hielt 2,3 Millionen Aktien, bis sein Lebenswerk Air Berlin komplett auseinander fiel.
Heute ist er Industriepartner für Logistik und Luftfahrt beim Frankfurter Mittelstands-Finanzierer Rantum Capital.
Lucas Flöther
Der 45-jährige Insolvenzverwalter, Sanierungsexperte und Rechtsanwalt ist mittlerweile wahrscheinlich jedem, der sich ein wenig mit der Causa Air Berlin beschäftigt hat, kein Fremder mehr.
Mit seiner Kanzlei „Flöther & Wissing“ betreute er die Insolvenz erst als Sachwalter, folgend als Insolvenzverwalter. Er zählt zu den einflussreichsten Insolvenzanwälten in Deutschland. Er betreute u.a. schon die Insolvenz des Internet-Riesen Unister, ehe er sich mit dem Fall Air Berlin beschäftigen musste.
Eine stärkere berufliche Reputation dürfte er wohl für einen Insolvenzverwalter nicht geben, als dass er die Insolvenz der vielleicht bekanntesten deutschen Fluggesellschaft abgewickelt hat. Auch finanziell gesehen hat es sich für seine Kanzlei gelohnt: 46 Millionen Honorar für ein Mandat azf den Zeiraum bon elf Jahren.
Stefan Pichler
Der 61-jährige deutsche Airline- und Tourismusmanager Stefan Pichler brachte große Erfahrungen in seinem Kerngebiet mit, ehe er 2015 den Vorsitz bei Air Berlin antrat. Zu der Zeit schrieb die Airline schon tiefrote Zahlen. Pichler legte ein Sanierungskonzept vor, welches von den Gesellschaftern größtenteils abgelehnt wurde und nur teilweise umgesetzt werden konnte. So verließ er das Unternehmen im Jahr 2017 wieder und trat eine Stelle als President & CEO von Royal Jordanien an, um das Unternehmen zu sanieren. Pichler gilt in Fachkreisen als Sanierer, er rettete schon mehrere internationale Fluggesellschaften vor der Insolvenz, beispielweise Fiji Airways.
Thomas Winkelmann
Nachdem der ehemalige CEO von Air Berlin gegen Verzicht auf einen Teil seines zugesicherten Gehalts frühzeitig aus dem dem Unternehmen ausscheidet, nimmt er schnell einen Sitz im Beirat der Berliner Logistikgruppe Zeitfracht an. Außerdem sitzt er im seit 2015 im Aufsichtsrat der US-Airline Westjet. Am wahrscheinlichsten ist, dass er in den nächsten Jahren zum wiederholten Male eine Stelle im Management einer Lufthansa-Tochter antritt oder in einer anderen Position der Luftfahrtbranche in Deutschland erhalten bleibt.
James Hogan
Der australische Geschäftsmann James Hogan, bis dato neun Jahre bei Etihad als CEO beschäftigt, scheidet ebenfalls Mitte 2017 aus dem Unternehmen aus. Er gründet anschließend die Knighthood Capital Partners AG. Eine Holding, die sich auf das Leasen von Flugzeugen spezialisiert hat. Sie hat Sitze in der Schweiz, in Abu Dubai und auf Malta. Mit im Gepäck hat er den ehemaligen Etihad-Finanzchef und seinen engsten Vertrauten, James Rigney, der zeitgleich mit Hogan den Hut bei der arabischen Fluglinie nehmen musste. Auch Ex-Air-Berlin-Anwalt Dirk Schmalenbach ist mit an Bord.
Ulf Hüttmeyer
2006 holt Air-Berlin-Gründer Joachim den heute 44-jährigen von der Commerzbank zu Air Berlin und ernennt ihn zum Vorstand im Bereich Finanzen. Hüttmeyer ist zur damaligen Zeit maßgeblich am Zustandekommen des Deals mit Etihad beteiligt, der die Berliner Airline vor der Insolvenz bewahrt. Gut neun Jahre später verlässt er die Konzernzentrale in Berlin-Charlottenburg und wechselt zur Muttergesellschaft nach Abu Dhabi. Er hinterlässt Air Berlin in einem desolaten finanziellen Zustand. Nach zwei Jahren am Arabischen Golf im April 2017 scheidet er aus dem Unternehmen aus und tritt zeitnah der von seinem Ex-CEO James Hogan gegründeten Firma bei.
Niki Lauda
Niki Lauda geht als Gewinner aus der Causa Air Berlin hervor. Erst durch die Verlegung des Insolvenzverfahrens von Deutschland nach Österreich konnte er sich die Fluglinie NIKI, dessen Gründer er ebenfalls ist, zurückkaufen. Diese ist von nun an unter dem Namen Laudamotion GmbH unterwegs, da die Namensrechte nicht Teil des Deals waren.
Mit dem Reisekonzern Thomas Cook und der Flugtochter Condor wollte er den Flugbetrieb schnellstmöglich aufnehmen. Ende 2018 wurde Laudamotion zu 100% von der irischen Billigfluglinie Ryanair übernommen. Somit schied Lauda als Geschäftsführer aus. Der 70-jährige Ex-Formel-1-Pilot ist nach einer Lungentransplantation Anfang 2019 wieder genesen und bleibt dem Unternehmen als Vorsitzender des Gesellschafterausschusses treu.
Carsten Spohr
Lufthansa unter der Führung von Spohr ist der größte Nutznießer der Insolvenz von Air Berlin. Nicht nur, dass ein unliebsamer Konkurrent weniger auf dem innerdeutschen Streckennetz vertreten ist, so konnten ehemalige Slots und Landerechte ohne größere Probleme übernommen werden und somit die Vormachtstellung als führende deutsche Fluggesellschaft ausgebaut werden. Durch geschickte personalpolitische Schachzüge wie dem Wechsel von Thomas Winkelmann zur Air Berlin sicherte sich Carsten Spohr schon im Vorhinein die „Pole-Position“ im Kampf um Teile der nun insolventen Fluglinie. Die Expansion von Lufthansa geht somit unverändert weiter, während der 52-jährige Lufthansa-CEO Spohr seine Macht intern weiter ausbauen konnte.
Die Mitarbeiter
Die ehemaligen Mitarbeiter von Air Berlin und deren Tochterfirmen sind, wie die Kunden, die größten Verlierer. Auch wenn einige mittlerweile eine neue Stelle haben, müssen sie starke Gehaltseinbußen und verschärfte Arbeitszeiten in Kauf nehmen. Außerdem blicken sie aufgrund von befristeten Arbeitsverträgen teilweise in eine ungewisse berufliche Zukunft.
Etihad
Die arabische Airline machte im Jahr 2018 einen Verlust von knapp 1,2 Milliarden Euro, der im Vergleich zu 2017 mit 1,5 Milliarden Euro Minus nur wenig geringer ausfällt.
Nach dem Ende von James Hogan als CEO bei Etihad ändert das Unternehmen seine Strategie und stößt Verlustgeschäfte ab. Die Beteiligungen Alitalia und Air Berlin gehen nach Einstellung von finanzieller Unterstützung somit insolvent. Dazu blickt die Fluglinie vom Golf einer milliardenschweren Klage von Air Berlin Insolvenzverwalter Lucas Flöther entgegen. Zusätzlich zu der Milliarde Euro, die Etihad in Air Berlin schon versenkt hat, könnte das Gerichtsverfahren Etihad Airways am Ende nochmal knapp 2 Milliarden Euro kosten. Rund 5% der Mitarbeiter wurden entlassen, dazu sank auch die Anzahl der Fluggäste kontinuierlich.
Fazit
Bei der „verrücktesten Insolvenz aller Zeiten“ bleiben zum heutigen Stand viele Fragen offen.
- Warum eine Insolvenz in Eigenverwaltung?
- Was wurde in Abu Dhabi besprochen?
- Was geschah mit dem Kredit der KfW?
- Missbrauch des Insolvenzrechts durch die Lufthansa?
1. Als bekannt wird, dass Air Berlin im August 2017 nicht mehr zahlungsfähig ist, reicht die Airline einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung beim Amtsgericht Charlottenburg ein. Trotz Verbindlichkeiten von 1,2 Milliarden Euro und wenigen vorhandenen Vermögenswerten wird dieser Form der Abwicklung stattgegeben. Dies verwundert, da eine Insolvenz in Eigenverwaltung die Erhaltung und Sanierung des Unternehmens zum Ziel hat.
Lucas Flöther wird zum vorläufigen Sachwalter ernannt. Am 1. November 2017 kommt es zur offiziellen Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Flöther nimmt seine Aufgabe als Insolvenzverwalter nun komplett wahr.
2. Im Mai 2017 trifft Bundeskanzlerin Merkel zu einem Staatsbesuch in Abu Dhabi ein. Teil ihrer Delegation ist Lufthansa-Chef Carsten Spohr.
Offiziell geht es bei der Zusammenkunft mit den Arabern auch um die Übernahme von Air-Berlin-Anteilen, da Etihad seinen verlustbringenden Teil gerne loswerden möchte. Die Vermutung liegt nahe, dass das Ende von Air Berlin schon besprochen wurde und was mit den interessanten Vermögensgegenstänen passiert: Flugzeuge, Slots und Landerechte. Der Kredit der KfW-Bank half bei Sicherung erheblich.
3. Der 150-Million-Euro-Kredit der staatlichen KfW Bank hielt den vorläufigen Flugbetrieb nach Beantragung des Insolvenzverfahrens aufrecht und sorgte dafür, dass sich im Ausland befindende Urlauber planmäßig nach Deutschland zurück kehren konnten. Außerdem war nur so der Verkauf an Lufthansa und Easyjet möglich, da sonst ein sogenanntes „Grounding“ eingetreten wäre Die Bank ließ sich den Kredit durch eine sogenannte „Dringliche Sicherung“ absichern. Somit hat sie bei einem Verkauf der Airline die Garantie, die geliehene Summe plus Zinsen direkt aus den Erlösen des Verkaufes zu beziehen.
4. Der Verdacht, dass die Lufthansa und die Bundesregierung zu einer Insolvenzverschleppung beigetragen haben, besteht schon länger.
So soll das 2012 geänderte Insolvenzrecht als Übernahmeinstrument für die hoch verschuldete Fluglinie missbraucht worden sein. Indem Ex-Lufthansa Winkelmann eine Insolvenz in Eigenverwaltung für seinen neuen Arbeitgeber wählte, konnte er nicht nur den Gang in die Insolvenz im Auftrag seines ehemaligen Arbeitgebers planen, sondern auch die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses beeinflussen.
Der Kredit der Bundesregierung half, das Bieterverfahren um drei Monate zu verzögern und ermöglichte es so der Lufthansa, die Start- und Landerechte vor Ende des Verfahrens teilweise kostenlos zu übernehmen.
Ein vom Bund versprochener geordneter Übergang für Air Berlin und die dort Beschäftigten konnte durch den Kredit nicht erreicht werden.
Bildnachweis:
Air Berlin Gläubigerversammlung © Lorenz Vossen / BM über Berliner Morgenpost