Air Berlin wurde bekannt mit dem Mallorca-Shuttle und den Air-Berlin-Schokoherzen. Was für viele eine legendäre Institution ist, ist für andere der Inbegriff von Missmanagement. Seit dem Erwerb von 25 % Anteilen der österreichischen Fluglinie Niki in 2004 schrieb Air Berlin in nur drei Geschäftsjahren schwarze Zahlen. Die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG beantragt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit 1,9 Milliarden Euro Verbindlichkeiten im August 2017. Davon entfielen allein 780 Millionen auf den Verlust des Jahres 2016.
Wie konnte es soweit kommen, dass die einstige Vorzeige-Fluggesellschaft einem so rasanten Abstieg ausgesetzt war?
Anhand einer Chronik der Ereignisse versucht dieser Artikel, darauf eine Antwort zu finden und auch die – teils undurchsichtige – Rolle der Politik, der anderen Fluggesellschaften, des Generalbevollmächtigten und des Insolvenzverwalters zu beleuchten.
1978 bis 2015
1978 Gründung im US-Bundesstaat Oregon als Air Berlin, Inc. Mit zwei Flugzeugen wird die Strecke Berlin – Mallorca angeboten. Zu dieser Zeit durften westdeutsche Gesellschaften das geteilte Berlin nicht anfliegen.
1991 Der frühere Marketingchef der LTU, Joachim Hunold, wird Aktionär und Geschäftsführer. Pro Tag werden 15 Flüge abgewickelt.
1998 Beginn des Linienflugeschäfts mit dem Mallorca-Shuttle.
2003 Air Berlin wird mit einer Flotte von 46 Flugzeugen zweitgrößte deutsche Airline.
2004 Air Berlin steigt mit 24% bei Niki, der vom ehemaligen Formel‑1 Piloten Niki Lauda gegründeten Fluggesellschaft, ein und bestellt 70 neue Flugzeuge bei Airbus.
2005 Übernahme des Billigfliegers Germania Express und Umwandlung in eine britische PLC (Public Limited Company – Kapitalgesellschaft)
2006 Air Berlin geht an die Börse und kauft die Fluglinie DBA vom Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl. Die Air Berlin Flotte umfasst nun 117 Flugzeuge, weite 75 Maschinen werden bei Boeing geordert.
2007 Von Hans Rudolf Wöhrl übernimmt Air Berlin außerdem die Ferienfluglinie LTU. Zusammen mit der neu erworbenen Beteiligung von 49% an der Schweizer Fluglinie Belair bedeutet das den Einstieg in das Interkontinentalgeschäft.
2008 Infolge der Finanzkrise geht die Auslastung zurück, Air Berlin schreibt erstmals rote Zahlen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Hunold und den Aufsichtsratschef Joachim Zurnieden wegen Insiderhandels werden eingestellt. Der Aktienkurs schmiert aufgrund explodierender Treibstoffkosten von 20€ auf unter 4€ ab.
2009 Der Reisekonzern TUI übernimmt 10% der Anteile von Air Berlin, im Gegenzug erhält Air Berlin das Städtefluggeschäft von TUIfly und 17 Flugzeuge. Die Flotte umfasst nun 152 Flugzeuge. Vollkommenes Unverständnis herrscht in der Branche, als später Einzelheiten bekannt wurden: der Vertrag hatte eine Laufzeit von 20 Jahren und war nur einseitig durch die TUI kündbar.
Branchenkenner Prof. Karl Born: „TUI hat den Air-Berlin-Vorstand über den Tisch gezogen. Zu diesem Zeitpunkt musste man rückblickend Air Berlin schon als nicht mehr rettbar bezeichnen.“
2010 Air Berlin hält jetzt 100% an Niki und tritt der Oneworld-Allianz von British Airways, Cathay Pacific, Quantas und American Airline bei.
2011 Der ehemalige Metro-Geschäftsführer Hans-Joachim Körber wird Vorsitzender des Verwaltungsrates und verlangt aufgrund der schlechten Geschäftszahlen eine Umstrukturierung. Vorstandschef Joachim Hunold startet ein Sparprogramm und wird im August durch den ehemaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn ersetzt.
Peter Berger vom Kölner Stadt Anzeiger: „Berauscht vom eigenen Erfolg hat der Gründer und langjährige Konzernchef von Air Berlin eine Kette von Fehlentscheidungen getroffen – und damit sein Lebenswerk zertrümmert.“
Mehdorn macht bei Air Berlin da weiter, wo er bei der Bahn aufgehört hatte: er erlässt ein Sparprogamm nach dem anderen. Diese sind nicht von Erfolg gezeichnet, Besserung bleibt aus. Aus der 170 Flugzeuge starken Flotte werden 18 Maschinen verkauft.
2012 Die arabische Fluglinie Etihad aus Abu Dhabi erhöht ihren Anteil auf 29,2% und wird größter Aktionär.
2013 Der neue Vorstandschef Wolfgang Prock-Schauer verschäft das Sparprogramm und streicht jeden 10. Arbeitsplatz. Die Flotte umfasst noch 142 Flieger. Um Liquidität zu generieren, verkauft Finanzvorstand Ulf Hüttmeyer weitere Flugzeuge und least sie zurück (Sale and lease back).
2015 Stefan Pichler, Ex-Lufthansa, geholt vom Etihad-Chef James Hogan, übernimmt den Vorsitz im Vorstand.
Der Jahresfehlbetrag erhöht sich auf 447 Millionen Euro. Hogans Rettungsplan für Air Berlin sieht vor, die Flotte auf 60 Flugzeuge zu verkleinern. Bedient werden sollen nur noch Langstreckenflüge und Zubringerdienste. Kosten für den Rückbau: rund 350 Millionen Euro für Sozialpläne und Ablösung von Leasingverträgen. Das ist dem Eigentümer von Etihad, den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu viel.
2016
Frühjahr 2016 – Das Spiel beginnt
Nach einem Bericht des Spiegel vom 4. August 2018 verabreden sich Hogan und Lufthansa-Chef Carsten Spohr zu einem geheimen Treffen im Züricher Hotel Baur au Lac. Hogan droht damit, Teile von Air Berlin an Easyjet zu verkaufen. Inoffiziell, denn mit einem Anteil von unter 30% darf Etihad keine Entscheidungen für Air Berlin treffen. Hogan fragt, ob Lufthansa-Tochter Eurowings nicht auch Interesse an der Berliner Airline hätte. Das passt in Spohrs Pläne, mit der Tochter Eurowings zu expandieren. Er trifft sich in der Folge öfter mit Hogan in London, Rom, München und Abu Dhabi.
20. Juli – Pokerpartie
Ulf Hüttmeyer, vorher Finanzvorstand Air Berlin und jetzt beschäftigt bei Air-Berlin-Großaktionär Etihad, verhandelt mit der Lufthansa über einen Verkauf von Teilen des Flugzombies Air Berlin an die Lufthansa-Tochter Eurowings. Die Wirtschaftswoche spricht von einer Pokerpartie mit ungleich verteilten Blättern. Teilnehmer: Air Berlin, Lufthansa, Etihad und die Bundesregierung.
Etihad Airways, die fast 1 Milliarde Euro in Air Berlin investiert hat, möchte die Langstreckenflüge aus Berlin und Düsseldorf in ihrem Netz behalten. Sie machen außerdem Druck, den verlustbringenden Rest schnell zu veräußern, denn der aufgelaufene Fehlbetrag übersteigt inzwischen 1,2 Milliarden Euro.
Die Lufthansa befürchtet, dass die Low-Cost-Carrier Easyjet oder Ryanair Teile von Eurowings übernehmen und einen Preiskampf lostreten werden. Gleichzeitig soll die Tochter Eurowings zur drittgrößten europäischen Airline hinter den beiden Wettbewerbern ausgebaut werden. Nur Insolvenz anmelden durfte Air Berlin nicht, da die Start- und Landerechte (Slots) an den Flughäfen sonst verfallen würden.
Die Bundesregierung müsste sich in besonderer kartellrechtlicher Flexibilität üben, denn die vergrößerte Lufthansa/Eurowings hätte auf einigen innerdeutschen Strecken monopolartige Marktanteile.
Air Berlin spielt nicht mehr mit, Air Berlin ist der Pot.
28. September – Lufthansa übernimmt Flugzeuge
Die Radikalkur beginnt: die Lufthansa mietet 40 Flugzeuge samt Personal, 35 davon werden bei der Lufthansa-Tochter Eurowings eingesetzt, 5 bei Austrian Airlines. Weitere 38 Flugzeuge sollen von einem Gemeinschaftsunternehmen mit TUI und Etihad unter dem Markennamen Niki betrieben werden. Anstelle von 142 sollen nur noch 75 Maschinen unter dem Markennamen Air Berlin fliegen.
Die Anzahl der Mitarbeiter soll von 8.600 betriebsbedingt um 1.200 Stellen gekürzt werden. Der Umbau soll Ende März 2017 zum Start des Sommerflugplans in Kraft treten und steht unter dem Vorhalt der kartellrechtlichen Zustimmung. Branchenkenner befürchten starke Preiserhöhungen, wenn Lufthansa/Eurowings auf Routen wie Hamburg-München der einzigen Anbieter ist.
2017
1. Februar – Winkelmann kommt
Ausgerechnet von der Lufthansa kommt der vierte neue CEO innerhalb von fünfeinhalb Jahren. Thomas Winkelmann sagt der Presse zum Amtsantritt:
Winkelmann als neuer Vorstandsvorsitzender: „Ich habe die Aufgabe mit dem Ziel übernommen, die Neupositionierung des Unternehmens erfolgreich abzuschließen.“
Bis Ende 2016 war Winkelmann, Freund von Lufthansa-CEO Carsten Spohr, jahrelang in leitenden Positionen beschäftigt, unter anderem als Geschäftsführer der Lufthansa-Tochter Germanwings. Den bis 2021 befristeten Vertrag, der inklusive Prämien mit 4,5 Millionen Euro vergütet wird, sichert Etihad mit einer Bankgarantie ab, so dass auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens das Salär des Chefs nicht in Gefahr ist. Allen Beteiligten muss schon zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass es nun noch darum gehen konnte, den Sargdeckel zuzumachen.
Niki Lauda kommentiert später in einem Interview: „Die Lufthansa arbeitete seit Anfang des Jahres mit 60 Mann an der Air-Berlin-Übernahme. Die hatten vom ersten Tag an einen Plan, wie sie sich am einfachsten die Air Berlin unter den Nagel reißen. “
19. April – Lufthansa-Gewerkschaft trifft Air Berlin Vorstand
Laut einem Bericht der Bild treffen Vertreter der bei Lufthansa wichtigen Gewerkschaft Ufo den Vorstand von Air Berlin. Die Pointe: Ufo ist gar nicht bei Air Berlin tätig.
Möglicherweise bereits die Vorbereitungen für eine Übernahme?
Die Stimmung des Kabinenpersonal soll sich auf dem Tiefpunkt befinden, in einem offenen Brief vor Ostern heißt es:
„die Unterstützung der Verwaltung für die Flugbegleiter ist an einem absoluten Tiefpunkt angelangt… Fehler und Krankheit sind die Folgen.“
28. April – neuer Rekordverlust
Die Zahlen für das Geschäftsjahr 2016 werden bekannt gegeben. Bei einem auf 3,79 Milliarden Euro gesunkenen Umsatz steigt der Verlust auf knapp 782 Millionen. Für das erste Quartal 2018 meldet Air Berlin weitere 293 Millionen Euro Verlust – etwa 3 Millionen am Tag oder 135.000 € in der Stunde.
1. Mai – Merkel und Spohr in Abu Dhabi
Angela Merkel trifft zu einem Staatsbesuch in Abu Dhabi ein. Mit im Gepäck: Lufthansa-Chef Spohr. Bis auf Air Berlin sind nun alle Teilnehmer der Pokerpartie an einem Tisch. Lufthansa möchte Air Berlin kaufen, um sich – mit Hilfe der Bundesregierung – ausländische Konkurrenz vom Leib zu halten, Etihad will dem verlorenen Investment nicht noch mehr Geld hinterher werfen und die verlustbringende Tochter los werden. Worüber wurde dann vermutlich verhandelt? Die Schulden, das deutsche Kartellrecht und die Übernahme der Beschäftigten.
15. Juli – Hunold geht
Nachfolger von Joachim Hunold als Chef des Verwaltungsrates wird der ehemalige Bahn-Vorstand Gerd Brecht, Jurist und Spezialist für Übernahmen.
Das vorläufige Insolvenzverfahren
11. August – Insolvenzantrag
Etihad Airways verweigert weitere Zahlungen, die nötig wären, um den Flugbetrieb aufrecht zu erhalten. Air Berlin ist nun zahlungsunfähig und hat keine positive Fortbestehensprognose mehr. Der Air-Berlin Vorstand stellt den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung beim zuständigen Insolvenzgericht Amtsgericht Charlottenburg.
Frank Kebekus, als Generalbevollmächtigter eingesetzt, steuert Air Berlin an der Seite von CEO Thomas Winkelmann durch den Verkaufsprozess und die Klippen des Insolvenzrechts. Prof. Dr. Lucas Flöther, Sachwalter, prüft in dieser Funktion im Auftrag des Insolvenzgerichts, ob bei der Insolvenz in Eigenverwaltung der Fluggesellschaft alles korrekt läuft. Er vertritt die Interessen der zahlreichen Gläubiger und beaufsichtigt die Rettungsmission. Gemeinsam wollen sie die Sanierung der Fluglinie vorantreiben. Flöther, der zuletzt auch das Insolvenzverfahren des Webportals Unister betreute, beziffert die Verbindlichkeiten von Air Berlin auf 1,5 Milliarden Euro.
14. August – Bundesregierung gewährt 150-Millionen-Kredit
Die Bundesregierung entscheidet über ein Massedarlehen an Air Berlin. Die offizielle Begründung im Beihilfebeschluss der EU-Kommission: Tausende deutscher Urlauber hätten sonst keine Möglichkeit vom Urlaubsort zurück zu kehren und würden unter Umständen die Bundestagswahl am 24. September verpassen.
Am 12. August beauftragte die Regierung das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) damit, die Rechtmäßigkeit eines Überbrückungskredits zu untersuchen. Bereits am 14. August fällt die Bundesregierung die Entscheidung, den Kredit zu bewilligen.
17. August – Kritik am Kredit
Die finale gutachterliche Vorlage von PwC trifft ein, ist aber zum aktuellen Zeitpunkt ohne Nutzen, da dem Kredit unabhängig vom Ergebnis des Gutachtens schon früher stattgegeben wurde. Dies ruft Kritik von Seiten der Opposition hervor.
Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, dazu:
„Offensichtlich war die Bearbeitungszeit der Wirtschaftsprüfer nicht nur sehr knapp bemessen, die Entscheidung erfolgte offensichtlich auch unabhängig von der Positionierung von PwC.“
Lufthansa will rund 90 von 144 Flugzeugen aus der Air-Berlin-Flotte und die Air-Berlin-Tochter Niki durch die Tochter Eurowings übernehmen.
18. August – Bundesregierung favorisiert Lufthansa
Winkelmann will den Verkauf unter Dach und Fach bringen, idealerweise an Lufthansa. Die Bundesregierung gewährt einen Kredit von 150 Millionen Euro, um den Flugverkehr aufrecht erhalten zu können und deutet Präferenzen im Bieterprozess an.
Bundeswirtschaftsministerin Zypries (SPD) dazu: „ .. dass natürlich ein Interesse als Bundesregierung besteht, mit Lufthansa ein starkes deutsches Unternehmen zu haben, was sich im europäischen und weltweiten Wettbewerb behaupten kann.“
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) findet: „dass wir einen deutschen Champion im internationalen Luftverkehr brauchen“.
Der Airline- und Textilmilliardär Hans Rudolf Wöhrl kündigt an, sich ebenfalls im Bieterprozess beteiligen zu wollen, kritisiert aber auch die Bundesregierung, Air Berlin und die Lufthansa scharf. Es gebe beim Poker um Air Berlin viele Verstöße gegen Corporate Governance, also die rechtmäßige Unternehmensführung. Ebenfalls bemängelt er, dass die Anmietung und faktische Übernahme von rund ein Viertel der Air-Berlin-Flotte im Januar 2017 durch Lufthansa ein starkes Indiz sei, dass die Übernahme von längerer Hand geplant wurde.
Hans Rudolf Wöhrl: „skandalös, wie die Bundesregierung hier mit Steuergeldern ein Monopol schafft.“
Auf der Webseite des vorläufigen Sachwalters Insolvenzverwalters Flöther & Wissing ist zu lesen, dass Winkelmann das Angebot von Wöhrl nicht als seriös ansieht:
Winkelmann: „Wir halten das für einen PR-Gag eines Trittbrettfahrers“.
Der CEO des irischen Billigfluganbieters Ryanair, Michael O’Leary, äußert sich ebenfalls kritisch: durch das Komplott von Regierung, Air Berlin & Lufthansa, steige deren Marktanteil auf innerdeutschen Strecken auf 95% an und reicht Beschwerde Beschwerden beim Bundesartellamt und der EU-Wettbewerbskommission ein.
Michael O’Leary „Ein abgekartetes Spiel.“
Der Chef des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, kündigt an, dass seine Behörde sich eine Übernahme von Air Berlin durch die Lufthansa „gegebenenfalls sehr genau ansehen werde“.
Die Gläubigerausschüsse
23. August – Konstituierende Sitzungen
Die vorläufigen Gläubigerausschüsse für die Muttergesellschaft Air Berlin PLC, den Betreiber Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG und die Airberlin Technik GmbH treffen sich zu ersten, konstituierenden Sitzungen. Bestellt sind Vertreter der Lufthansa-Tochter Eurowings, der Bundesagentur für Arbeit, der Commerzbank, der Air-Berlin-Manager Christian Weyer und der Rechtsanwalt Niklas Lütcke von CMS Hasche Sigle.
24. August – Kebekus wehrt sich
Air Berlin kann keine Entschädigungen für Verspätungen oder Ausfälle zahlen, betroffene Fluggäste müssen ihre Forderungen als Insolvenzforderung anmelden.
Der Generalbevollmächtige Kebekus verhandelt über Streckennetze, Start- und Landerechte, sowie über Tochterunternehmen wie die vom einstigen Formel-1-Fahrer gegründete Airline Niki oder die ausgelagerte Air Berlin Technik.
Kebekus: „Das ist kein Autoverkauf, den man an einem Tag abwickelt.“
Er weist auch die Kritik zurück, die Lufthansa würde bevorzugt. „Ein Player wie die Lufthansa, die schon vor dem Insolvenzantrag am Tisch saß, hat damit automatisch einen Informationsvorsprung. Daran können wir aber nichts ändern, und das hat auch nichts mit einem abgekarteten Spiel zu tun.“ Bei kurzfristigen Buchungen sei durch die Insolvenz nur ein leichter Rückgang zu verzeichnen, bei Langstrecken und Flügen, die erst in einigen Monaten statt finden, bricht die Nachfrage ein.
3. September – Placet der EU-Kommission zum Sanierungskredit
Die EU-Kommission billigt den in Tranchen auszuzahlenden Kredit in Höhe von 150 Millionen Euro.
Die Gewerkschaften in Deutschland fordern die Übernahme der 8000 Beschäftigten, deren Zukunft noch komplett ungeklärt ist.
Air Berlin kündigt für September die Streichung sämtlicher Langstreckenverbindungen vom Flughafen Berlin-Tegel an. Das betrifft auch die Strecken in die USA und Abu Dhabi. Im Oktober soll auch das Langstreckenangebot ab Düsseldorf auf 11 Verbindungen reduziert werden.
12. September – Sickout der Piloten
Nach dem Vorbild einer ähnlicher Aktion bei Tuifly melden sich 200 von 1500 Air Berlin Piloten krank. Kritik kommt von vielen Seiten, insbesondere aus der Politik und Management-Ebene Air Berlins. Tenor: „Verantwortungslos gegenüber den anderen Kollegen, dass die Piloten sich eigenständig zu einem illegalen Streik zusammen schließen und somit die Zukunft ihres ohnehin schon am Boden liegenden Arbeitgebers weiter verschlechtern.“
Worum geht es ? Die Kaufinteressenten machen klar, dass der Kauf der Fluglinie oder von Teilen nicht in Form eines „Betriebsübergangs“ nach § 613a BGB erfolgen soll. Dieser liegt rechtlich gesehen vor, wenn der Käufer einen Betrieb als Ganzes seiner eigenen Firma einverleibt – mit Folge, dass alle Tarifverträge weiter gelten, denen der übernommener Betrieb bislang unterworfen war. Bei einer Übernahme der Piloten durch Lufthansa und einer direkten Einstellung bei der Billig-Tochter Eurowings müssen die Piloten mit Gehaltseinbußen bis zu 40% rechnen.
Die Gewerkschaft ver.di schließt sich der Kritik an den Piloten aufgrund der Verantwortung gegenüber Unternehmen an, da sie “Schadensansprüche für Tausende Kunden schaffen, die nicht bedient werden können und so riskieren, dass der Flugbetrieb innerhalb von Tagen eingestellt werden muss, dass Start- und Landerechte verloren gehen, dass dadurch das Interesse bei Investoren sinkt und die Perspektive aller Beschäftigten noch düsterer aussieht”.
15. September – Bieterauslese
Es gehen Gebote von sechs Parteien ein: Lufthansa, easyjet, Wöhrl, Niki Lauda mit Condor, IAG (International Airlines Group) und Jonathan Pang, Betreiber des Provinzflughafens Mecklenburg-Parchim.
Die Berliner Logistikfirma Zeitfracht übernimmt die Fracht- und Technik Sparte.
21. September – Der Gläubigerausschuss wird informiert
Der Gläubigerausschuss tagt am 21.9.2017. Kebekus, Flöther und Winkelmann informieren den Ausschuss über die Bieterangebote. Die Entscheidung soll einen Tag nach der Bundestagswahl am 25.9.2017 bekannt gegeben werden.
Die Deutsche Presse Agentur meldet, dass es zu Verhandlungen mit Lufthansa und Easyjet über einen Teil der Flotte kommt.
Die nicht berücksichtigten Bieter kritisieren das intransparente und undurchsichtige Auswahlverfahren. Hans-Rudolf Wöhrl kommentiert wütend: „den Bietern war die Kommunikation untereinander nicht erlaubt“, was aber für die von ihm angedachte Gesamtlösung elementar gewesen wäre. Er sagt auch, dass zu jedem Zeitpunkt nur eine Zerschlagung von Air Berlin im Raum stand.
30. September – keine Entschädigung für Ticketkäufer
100.000 Ticketkäufer von Air Berlin gehen leer aus, da sie ihr Ticket vor dem Insolvenzantrag am 15. August erworben haben. Sie sollen “nur eine geringe bis gar keine Erstattung” erhalten. Tickets, die danach – in der Zeit vorläufigen Insolvenzverfahrens – erworben wurden, werden vollständig erstattet.
12. Oktober – Lufthansa will Niki
Lufthansa gibt bekannt, dass sie für 210 Millionen Euro Teile von Air Berlin übernehmen will, unter anderem 20 Flugzeuge, die österreichische Airline Niki, die Luftfahrtgesellschaft Walter (beide nicht insolvent) und 1.3000 Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen. Die Verhandlungen mit easyjet dauern an.
18. Oktober – Kritik an Winkelmann-Vergütung
Winkelmann steht aufgrund seiner Vergütung von 4,5 Millionen Euro im publizistischen Kreuzfeuer, welche auch im Insolvenzfall durch Etihad Airways abgesichert ist. Politiker aller Parteien, Arbeitnehmerverbände, aber auch Aufsichtsratsmitglieder von Air Berlin kritisieren, teils offen, teils hinter vorgehaltener Hand, das Salär des Air-Berlin Chefs. Auch werden die Rettungsbemühungen hinterfragt und angemerkt, dass im Mai 2017, wenige Monate nach dem Antritt Winkelmanns, die Airline durch den Fluggastdienstleister „Flightstats“ als unzuverlässigste Carrier Europas ausgezeichnet wurde: 547 ausgefallene Flügen und 5587 Verspätungen innerhalb nur eines Monats.
19. Oktober – Kein Betriebsübergang
Ursprünglich war angedacht, mit den Bietern zu einer Lösung zu kommen, welche eine vollständige oder zumindest teilweise Übernahme des Unternehmens samt Flugzeugen und Personal beinhaltet hätte. Darauf wollte sich kein Bieter einlassen, da sonst alle Arbeitsverträge nahtlos auf die Käufer übergehen würden. Dies wäre in Form des sogenannten geregelten Betriebsübergangs geschehen, da der bisherige Betrieb als „wirtschaftliche Einheit“ übergangen wäre.
Inhalt dieses Betriebsübergangs wären alle finanziellen Konditionen, Urlaubsregelungen aber auch erworbene Betriebszugehörigkeit und Sach- und Personenstrukturen, welche eine Identität des jeweiligen Betriebs wiedergeben. Dies wird aber von Seiten der Lufthansa und des Insolvenzwalters direkt abgelehnt, „da die Flugzeuge nicht im Besitz von Air Berlin, sondern nur geleast sind“. Dabei wird vermeintlich bewusst ausgeblendet, dass es auf die Eigentumsverhältnisse an den übernommen Betriebsmitteln nicht ankommt.
Einige Indizien sprechen in diesem Fall für einen geregelten Betriebsübergang:
- Erwerb der Flugzeuge, auch bei Leasing
- Übernahme der Start- und Landerechte
- Übernahme wesentlicher Teile der Belegschaft
- Übernahme der Kundschaft: Lufthansa würde auf verschiedenen Strecken zum alleinigen Anbieter, Kunden müssen bleiben
- Ähnlichkeit der Tätigkeit
Lufthansa will rund 3000 Mitarbeiter in neuem Bewerbungsverfahren einstellen. Somit ist der Betriebsübergang umgangen. Die Stellen werden bei Eurowings Europe angesiedelt, wo die Beschäftigten keinen Tarifvertrag erhalten, kein Recht auf Teilzeit haben und bis zu 50 % weniger verdienen. Hierbei kommt das österreichische Arbeitsrecht zum Tragen, da Eurowings Europe dort angesiedelt ist.
27. Oktober – Der letzte Flug
Der letzte Air Berlin Flug landet am 27. Oktober 2017 mit rund einstündiger Verspätung um 23:47 Uhr in Berlin Tegel.
Der Pilot drehte mehrere Schleifen, bevor er zur Landung ansetze, was auf dem Flugradar wie die Form eines Herzens aussah, in Anlehnung an die typischen Air Berlin Herzen. 1.600 Leute beobachteten von den Terrassen des Flughafens den emotionalen Moment. Air Berlin Mitarbeiter & Feuerwehrleute nahmen die Maschine auf dem Rollfeld mit Wasserfontänen in Empfang.
28. Oktober – Kfw-Kredit wird voraussichtlich bedient
Das Handelsblatt berichtet, dass der Kredit der Bundesregierung (zu 9% Zinsen) durch die Verkaufserlöse voraussichtlich zurückgezahlt werden kann. Dazu sollen die geplanten 250 Millionen Euro Erlöse aus den Verkäufen an easyjet und Lufthansa verwendet werden. Bis Ende des Jahres wird eine Zustimmung vom Kartellamt zu den Verkäufen erwartet.
Die Insolvenz wird eröffnet
1. November – Drohende Masseunzulänglichkeit
Das vorläufige Insolvenzverfahren ist abgeschlossen, jetzt wird das eigentliche Insolvenzverfahren über das Vermögen der Air Berlin Gesellschaften eröffnet. Insolvenzverwalter Flöther teilt schon mal eine drohende Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO mit. Es zeichnet sich damit ab, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht oder voraussichtlich nicht ausreichen wird, um neben den Kosten des Insolvenzverfahrens auch die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen.
Die Kunden Air Berlins müssen bis zum 1. Februar 2018 ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter anmelden, ab dem 1. April 2018 werden alle Forderungen in der Insolvenztabelle beim Amtsgericht Charlottenburg gesammelt. Geprüft werden sollen sie bis zum 1. August 2018.
3. November 2017 – Easyjet stellt Mitarbeiter ein
Easyjet übernimmt 1.000 ehemalige Air-Berlin-Mitarbeiter zu vergleichbaren Konditionen wie die der Stammbelegschaft.
11. November 2017 – Rückendeckung von Zypries
Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries sagt, „dass es gut sei, dass wir mit Lufthansa ein starkes deutsches Unternehmen haben“. Außerdem bezeichnet sie das Gehalt von Winkelmann als juristisch nachvollziehbar und gibt an, dass die Ticketpreise durch die faktische Übernahme von Air Berlin durch Lufthans und easyjet nicht steigen werden. Sie gibt zu bedenken, dass Fliegen für 10 Euro pro Flug für Mensch und Umwelt nicht nachvollziehbar sein.
20. November – Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt
Die Belastung für die BA aus dem Insolvenzgeld für 7.340 Mitarbeiter beträgt 55,2 Millionen Euro plus Sozialabgaben aufgrund von Transferkurzarbeitergeld. 250 ehemalige Air Berliner sind aktuell in Transfergesellschaften untergekommen. Damit werden Kündigungsfristen, unbequeme Abfindungszahlungen und Kündigungsschutzklagen vermieden. Eine Transfergesellschaft schiebt die Arbeitslosigkeit zumindest für ein Jahr hinaus.
Die Bundesagentur für Arbeit erwartet 4.000 Anträge auf Arbeitslosengeld ehemaliger Air Berlin Mitarbeiter.
Gläubigerversammlung für die Anleihen
23. November – Etihad bietet Vergleich an
Mit einem Volumen von 225 Millionen Euro und etwa 200 000 Investoren ist die Anleihe AB100B4 der größte Bond des Konzerns. In 2004 hatte Air Berlin 8,25 Prozent Zins dafür versprochen. Der Insolvenzverwalter macht in der Gläubigerversammlung den Anleihegläubigern von Air Berlin nicht viel Hoffnung. Da die Konzernmutter Air Berlin PLC kein eigenes Geschäft betreibt und die Tochter, die Air Berlin GmbH & Co. Luftverkehrs KG selbst insolvent ist, bleiben nur die Erlöse aus dem Verkauf der Dortmunder Luftfahrtgesellschaft Walter in Höhe von 25 Millionen Euro. Davon verbleiben 17 Millionen Euro für die Befriedigung sowohl der deutschen Anleihe als auch weitere 480 Millionen Euro, die in England gezeichnet wurden. Kebekus stellt eine Quote von einem Prozent oder weniger in Aussicht. Mögliche Schadensersatzansprüche gegen frühere Manager und Etihad würden geprüft.
350 Millionen Euro hatte Etihad noch 2016 zum Abruf bereitgestellt. Als 250 Millionen verbraucht waren, zog Etihad im August 2017 die Reißleine. Air Berlin war zahlungsunfähig. Möglicherweise lag ein Vertragsbruch seitens Etihads vor, da die arabische Fluglinie im April 2017 nochmals durch einen „Letter of Comfort“ die Finanzierung von Air Berlin zugesichert hatte. Fraglich ist nun, wie belastbar dieses Papier ist. Gilt es als Allgemeine Absichtserklärung oder als feste Zusage? Und, falls es keine feste Zusage war, hätten die Wirtschaftsprüfer dann überhaupt eine positive Fortführungsprognose geben dürfen?
Etihad wäre bereit, vergleichsweise 15 Millionen zu zahlen. Ob der Insolvenzverwalter dagegen klagt, ist fraglich. Es wäre zunächst zu klären, ob das Verfahren in Großbritannien, Deutschland oder in den VAE stattfinden würde.
4. Dezember – Und die Mitarbeiter?
Ab dem 30. November werden die ersten Kündigungen an Cockpit- und Bodenpersonal verschickt. Einige, die zuletzt im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassungen von Air Berlin an ausländische Gesellschaften verliehen wurden, müssen Hartz 4 beantragen. Die Bundesanstalt für Arbeit berichtet, dass sich bisher nur wenige Mitarbeiter arbeitslos gemeldet haben.
8. Dezember – Versteigerung des Inventars
Das Inventar aus Air Berlin Flugzeugen soll öffentlich versteigert werden, der Erlös in die Insolvenzmasse fließen. Einige Überbleibsel gehen an das Deutsche Technikmuseum und sollen dort irgendwann ausgestellt werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind 61 Millionen Euro des Kredits der Bundesregierung zurückgezahlt.
12. Dezember – Easyjet kommt zum Zug
Die EU-Kommission genehmigt die Übernahme von Teilen Air Berlins durch easyjet.
13. Dezember – Verzockt bei Niki
Die EU-Kommission verschiebt ihre Entscheidung bezüglich der Übernahme der Air-Berlin-Tochter Niki durch die Lufthansa aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bedenken auf die Zeit nach dem 21. Dezember. Die Kommission bemängelt, dass Lufthansa auf 50 Strecken alleiniger Anbieter wäre.
Lufthansa zieht daraufhin das von ihr abgegebene Angebot zurück. Die Kosten für den Weiterbetrieb von Niki beziffert sie auf 10 Millionen pro Woche, eine tiefgehende Untersuchung für weitere 90 Tage hätte somit 200 Millionen Euro gekostet. Niki hatte daraufhin den Flugbetrieb eingestellt und einen Antrag auf Insolvenz gestellt.
Regierungssprecher Steffen Seibert nutzt die Gelegenheit und schiebt den schwarzen Peter der EU-Kommission zu.
Seibert: „Durch den unerwarteten Ausfall der Erlöse aus dem Niki-Verkauf kann der vom Bund verbürgte Kredit der KfW an Air Berlin möglicherweise nur zum Teil zurückgezahlt werden.“
Die Jobs von 1.000 Mitarbeitern stehen auf der Spiel, mehreren 100.000 Flugtickets droht eine Stornierung. Kebekus ist sauer: „die Insolvenz der Niki Luftfahrt GmbH sei höchst ärgerlich und wäre vermeidbar gewesen“. Es fehlen nun die von der Lufthansa gebotenen 210 Millionen Euro in der Insolvenzmasse.
16. Dezember – Politische Konsequenzen gefordert
Vertreter aller großen Parteien, mit Ausnahme der CDU/CSU-Fraktion, fordern einen Untersuchungsausschuss, um die Rolle der Bundesregierung, der Lufthansa und Air Berlin zu ergründen. Sollte bis Jahreswechsel kein neuer Investor bei Niki gefunden werden, würden auch die Start- und Landerechte frei. Am Ende könnte sich Lufthansa so maßgebliche Teile der Niki sichern, ohne aber den bisher angebotenen Kaufpreis dafür gezahlt zu haben. Insbesondere die FDP-Generalsekretär Lindner macht deutlich, was er von dem Eingriff in den freien Markt zu Lasten der Steuerzahler hält: „Die Bundesregierung hätte diese Entwicklung voraussehen und verhindern müssen“.
Bildnachweise:
Joachim Hunold © AP über Kölner Stadt Anzeiger
Der Flugzombie © dpa, Getty Images Montage: Wirtschaftswoche
Flug BER5EVR landet in Tegel © Christian Borchmann-Backhaus – Lizenz CC BY-SA 4.0