Selten, dass ein Spezialthema des Insolvenzrechts in Publikumsmedien besprochen wird. Der § 133 InsO (Insolvenzordnung) hat es geschafft. Christian Ramthun meinte in der Wirtschaftswoche am 24.11.2014 gar: „Insolvenzanfechtung – eine sperrige Materie, die allerdings das Zeug hat, an den Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft zu rütteln.“
Das ARD-Magazin Plusminus berichtet am 08.07.2015 über den Fall des durch Insolvenzanfechtung in die Krise geratenen bayrischen Spritzgußunternehmens Müller.
Bereits am 25.06.2015 beschäftigte sich der Bericht des Magazins quer mit dem mittelständischen Betrieb aus Bayern. Dieser sah sich plötzlich und überraschend mit Rückforderungen nach § 133 InsO über 2,5 Mio. Euro aus der Insolvenz eines Kunden konfrontiert. Das mittelständische Unternehmen hatte einem Kunden von der Mosel Verschlüsse für Weinflaschen verkauft. Als die Zahlungen des Kunden unzuverlässiger wurden, akzeptierte die Firma Ratenzahlungen. Der Insolvenzverwalter sah gerade diese Ratenzahlungen als Indiz dafür an, dass Müller von der Schieflage des Kunden wusste und klagte auf Rückzahlung.
Existenzbedrohende Ausmaße
Wenig später veröffentlicht Stefan Locke in der FAZ am 04.08.2015 Fälle, bei denen die Rückforderungen aus Insolvenzanfechtungen andere gesunde Unternehmen in die Insolvenz getrieben haben.
Und vor Kurzem berichtete die FAZ am 12.06.2016 unter dem harmlos klingenden Titel „Unerwartete Post vom Insolvenzverwalter“ über die Ille Papier-Service GmbH in Altenstadt. Diese erhält zwei Mal im Monat Mahnbescheide von Insolvenzverwaltern mit Rückforderungen für erhaltene Zahlungen, die schon vor langer Zeit erfolgt sind. Zum Problem wird dem Unternehmen die kulante Regulierung von überfälligen Zahlungen. Die über 22.000 Kunden kommen meist aus dem Hotel- und Gastgewerbe und haben teilweise stark schwankende Einnahmen zu verzeichnen. Ille bietet in solchen Fällen einen Ratenzahlungsplan an. Knapp 5 % der Kunden haben dieses Angebot schon mal angenommen. In den meisten Fällen geht die Zahlungsstockung nach ein paar Monaten vorbei. Kommt es aber Jahre später zur Insolvenz des Kunden, muss sich Ille Sorgen um Rückforderungen durch Insolvenzanfechtung machen.
Zahlungen können 10 Jahre rückwirkend angefochten werden
Wie kann das sein? Und warum taucht das Problem nicht schon früher in der öffentlichen Wahrnehmung auf? Der Paragraph 133 der Insolvenzordnung, auf den sich die Ansprüche stützen, ist seit ihrer Einführung am 01.12.1999 in Kraft. Die Hürde ist dort sehr hoch: der Schuldner muss den Vorsatz gefasst haben einen Gläubiger zu bevorzugen und der Gläubiger muss diesen Vorsatz gekannt haben. Dem Gläubiger wird die Kenntnis des Vorsatzes unterstellt, wenn er von der drohenden Zahlungsunfähigkeit seines Kunden gewusst hat.
Ursprünglich war diese Norm dazu geschaffen worden, bei Krisenunternehmen Sondervereinbarungen zugunsten einzelner Gläubiger zu unterbinden. Die Rechtsprechung des BGH hat den Anspruch verschärft, in dem sie selbst übliche Ratenzahlungsvereinbarungen als Indiz dafür wertet, dass Gläubiger von der drohenden Zahlungsunfähigkeit seines Kunden gewusst hat.
Die Rechtsprechung des BGH legte den § 133 InsO Abs. 1 Satz 2 „Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.“ sehr weit aus. Häufig genügten die Gewährung kulanter Zahlungsbedingungen, die mehrfache Verlängerung von Zahlungszielen oder Ratenzahlungsvereinbarungen als Indiz der Kenntnis der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung, beispielsweise BGH 06.12.2012, Az. IX ZR 3/12.
Noch nicht einmal die pünktliche Bedienung von Raten stellte für den Bundesgerichtshof (BGH 24.03.2016, Az. ZR 242/13) ein Hinderungsgrund für eine erfolgreiche Anfechtung dar. Und auch die drohende Zahlungsunfähigkeit konnte eine Vorsatzanfechtung rechtfertigen (BGH 21.01.2016, Az. ZR 84/13).
Stefan Locke hat in der FAZ allen Unternehmern geraten, bei Zahlungsstockungen den Kontakt zum Kunden einzustellen, eine Forderung, die in der Unternehmenspraxis wohl nicht erfüllt werden kann.
Verbände und Juristen fordern Reform
Die steigende Zahl von Anfechtungen stellt für Unternehmer, Banken, Gewerbetreibende aber auch Arbeitnehmer zunehmend ein Risiko dar. Damit die Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO nicht zu einem Domino-Effekt bei Unternehmensinsolvenzen führt, und um Rechtssicherheit im Zahlungsverkehr zu erreichen, fordern der BDI, der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) und weitere Industrieverbände daher eine Neufassung. Diese wurde am 15.01.2016 im Bundestag diskutiert und von allen dort vertretenen Parteien in seltener Einstimmigkeit auch begrüßt.
Im Video: Diskussion im Bundestag über die Reform des Insolvenzrechts.
Update (5. April 2017): Reform des § 133 in Kraft
Seit dem seit 5. April 2017 ist die Reform der Vorsatzanfechtung in Kraft. Inwieweit das Anfechtungsrisiko wirklich sinken wird, bleibt abzuwarten. Lesen Sie meinen ausführlichen Artikel zu den letzten Änderungen im Insolvenzrecht.
Update (25. April 2017): Spritzguss Müller schließt Vergleich
Wie der Bayrische Rundfunk berichtete, hat die Spritzguß Müller GmbH vor dem Oberlandesgericht München einen Vergleich schließen können. Anstelle von 2,5 Mio. € zahlt das Unternehmen nur 110.000 €. An der Verhandlung nahmen 50 Mitarbeiter des bedrohten Unternehmens teil.
Mitarbeiter von Spritzguß Müller vor dem OLG München © BR / Alexander Brutscher